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Spiegellose mit Profiambitionen

Zum Jubiläum der Einführung spiegelloser Systemkameras werfen wir einen Blick auf die Entwicklung dieses Kameratyps zum Profi-Tool und beleuchten das aktuelle Angebot an professionellen Modellen.

Markus ZittVor zehn Jahren wurde die Typenklasse der spiegellosen kompakten Systemkameras (CSC) ins Leben gerufen, um fortan eine Alternative zur bewährten digitalen Spiegelreflex (DSLR) darzustellen. Nach einer behäbigen Startphase haben sich die Spiegellosen in den meisten Anwenderklassen etablieren können, nur bei den Profifotografen konnten sie lange Zeit kaum landen. Dies ändert sich jedoch zusehends, da die CSC-Hersteller vermehrt die Fotoprofis und anspruchsvolle Hobbyfotografen ins Visier nehmen.

Spiegellose Systemkamera

Bei einer Systemkamera handelt es sich um ein Kameragehäuse mit einem Anschluss für Wechselobjektive. Mit verschiedenen Objektiven und allerlei Zubehör – wie Systemblitze, Fernauslöser etc. – lassen sich solche Kameras für verschiedenste Fotomotive und Aufgaben rüsten. Bis zur Einführung und Etablierung der Spiegellosen galt die (digitale) Spiegelreflex als die ultimative Systemkamera.

Als Geburtsdatum der CSC gilt der 6. August 2008, wobei schon am Vorabend weltweit erste Meldungen kursierten. Damals hatte Panasonic angekündigt, künftig zusammen mit Olympus kompakte Systemkameras ohne den sperrigen Spiegel zu bauen, was kompaktere Kameras und Objektive ermöglicht. Statt auf einen optischen Sucher, der bei der (D)SLR durch Reflexspiegel und Prisma realisiert ist, setzt die CSC hier ganz auf Elektronik. Dabei wird ein elektronisches Sucherbild (Live View) vom Bildsensor auf dem Kameramonitor oder in einem elektronischen Sucher (Electronic Viewfinder, kurz EVF) dargestellt, kann aber auch auf ein externes Gerät (Monitor, Tablet, Smartphone) geliefert werden. Für ihr spiegelloses System haben Panasonic und Olympus damals den Micro-FourThirds-Standard (MFT) ins Leben gerufen, der auf dem 2003 von Olympus und Kodak lancierten Four­Thirds-Standard (FT) für DSLRs basiert und der weiterhin dieselbe Sensorgrösse (17,3 × 13,0 mm) nutzt. Wie FourThirds steht auch MFT anderen Firmen offen.

Während Panasonic wenige Wochen nach dieser Ankündigung bereits erste Produkte einführte (Lumix G1 mit Wechselobjektiven), kam Olympus erst im Juni 2009 (Pen E-P1 samt Objektiven). In den folgenden Jahren lancierten nach und nach alle anderen Kameramarken ebenfalls eigene spiegellose Systeme, meist mit einer oder zwei Kameras samt – zum Start – zwei bis vier Objektiven.

Übrigens konnte sich in den ganzen zehn Jahren kein allgemein gültiger Name für den neuen Kameratyp etablieren. Dies obwohl die Vereinigung von Fotomagazinen TIPA (Technical Image Press Association) früh den Begriff CSC (Compact System Camera) vorgeschlagen hatte. Heute wird meist einfach von Spiegelloser (Mirrorless) oder ungenau von Systemkamera gesprochen oder eine andere Bezeichnung gebraucht – beispielsweise von Panasonic: DSLM (Digital Single Lens Mirrorless).

10 Jahre CSC: Angebot, Akzeptanz

Zum Start und in den Anfangsjahren standen bei den spiegellosen Systemen vor allem die Kompaktheit von Kameras und Objektiven im Vordergrund, was auch zu einigen Systemen (Pentax Q, Nikon 1, Samsung NX Mini) mit extra kleinen Kameras bei entsprechenden Sensorgrössen geführt hatte. Inzwischen sind all diese Mini-Systeme eingestellt worden.

Heute spielt die Kompaktheit eine untergeordnete, wenn auch nicht unbedeutende Rolle (z. B. bei Olympus) und die CSCs präsentieren sich als besonders fortschrittliche Kameras für eine breite Gruppe an Fotografie-Interessierten. Diese Zielgruppe besteht einerseits aus Technikfans sowie aus Ein- und Umsteigern, die vom Smartphone oder von einer Kompakt­kamera zur CSC wechseln, weil sie sich mehr Gestaltungsmöglichkeiten und eine höhere Qualität erhoffen. Dann gibt es noch die kleinere, aber stetig wachsende Zahl versierter Fotoamateure und sogar Profis, die sich eine fortschrittlichere und/oder kompaktere Alternative zur DSLR wünschen.

In Europa und hierzulande gewann der neue Kameratyp während der ersten Jahre nur langsam Marktanteile. Insbesondere versierte Hobbyfotografen und Fotoprofis standen selbst «ernsthafteren» und leistungsstärkeren CSC-Modellen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Die CSCs wurden als Lifestyle-Kamera für Einsteiger, Gelegenheitsknipser und Technik-Geeks abgetan.

Zu den stärksten Argumenten gegen die CSC gehörten der langsamere Autofokus (Kontrast-AF in CSCs gegenüber dem schnellen Phasen-AF von DSLRs) sowie der fehlende Sucher und bei Modellen mit EVF dessen Bildqualität. Bei EVFs wurden und werden unter anderem zu geringe Auflösungen, verrauschte Darstellungen und niedrige Bildaufbauraten bemängelt. Zudem kritisierten Hobbyfotografen und Profis die zu geringe Auswahl an verfügbaren Systemobjektiven für die CSCs, was allerdings bei Einführung eines neuen Systems unter anderem bei den verfügbaren Ressourcen und der noch unklaren Marktakzeptanz begründet ist. All diese Kritikpunkte waren einst berechtigt, haben ihre Gültigkeit aber über die Jahre sukzessive verloren.

Trotz der erwähnten Kritikpunkte fanden sich aber stets auch Hobby- und Profifotografen, die früh die systembedingten Vorteile (z.B. Kompaktheit für Reisefotografie, Objektiv-Adaptierung) entdeckten und für sich zu nutzen begannen. So erweiterten manche ihr Equipment um eine CSC samt einiger Objektive sowie Objektivadapter, um ihre vorhandenen Systemobjektive an einer neuen CSC zu nutzen, andere dagegen stiegen gar komplett auf ein CSC-System um. Übrigens ist die Möglichkeit mittels Adapter fremde und auch alte Objektive an einer modernen Digitalkamera zu verwenden ein Aspekt, der die Spiegellose für manchen Fotofan attraktiv macht. Dank geringem Auflagemass lassen sich Objektive mit anderen Anschlüssen mithilfe von meist rein mechanischen Adaptern – in der Regel mit Einschränkungen – verwenden.

CSCs gewinnen Profis

Erfahren Sie mehr zu den Merkmalen professioneller Fotokameras.

Eine der ersten CSCs mit professionellem Anstrich (Serientempo, Robustheit) war die OM-D E-M1 (2013) aus der zweiten CSC-Produktreihe von Olympus (OM-D- neben PEN-Reihe), auf welche Ende 2016 die derzeit aktuelle E-M1 Mark II folgte. Derweil konnte Panasonic mit der Lumix GH3 (2013) und der GH4 (2014) sowie der aktuellen Nachfolgerin GH5 (2017) und der hoch empfindlichen GH5s (2018) vor allem bei Video- und Filmprofis landen. Die GH-Modelle werden heute häufig für professionelle Videoproduktionen und sogar als B-Kamera bei TV- und Kinofilmen eingesetzt, während die jeweiligen Modelle der G-Reihe Fotoprofis ansprechen sollen. Viele Fans unter versierten Amateuren und Profis konnte Fujifilm ab 2012 mit den X-Kameras (Bildsensorformat APS-C, 23,5 × 15,6 mm ) mit ihren klassischen Bedienelementen gewinnen. Allerdings dauerte es bis Anfang 2018, dass Fuji mit der X-H1 eine Kamera mit Profiattributen (Foto und Video) anzubieten begann.

Für eine erste grössere Welle der Akzeptanz gegenüber der CSC als Alternative zur DSLR sorgte aber Sony, als sie ihr 2010 gestartetes spiegelloses System, das anfangs nur auf Sensoren im APS-C-Format setzte, im Herbst 2013 um zwei erstaunlich kompakte Kameras (A7 mit 24 Mpx, A7R mit 36Mpx) mit Bildsensoren im Kleinbild-Vollformat (KB, 36 × 24 mm) erweiterte. Die damals lancierte Sony-Alpha-7-Reihe konnte sich im Folgejahr erfolgreich auf breiter Front etablieren. Damit begann die Ablehnung bei CSC-kritischen Amateuren und Profis zu bröckeln.

Leica folgte ungewöhnlich rasch – und lange vor allen anderen Marken – dem Beispiel von Sony und brachte im Herbst 2015 ihre Leica SL mit KB-Sensor und dem L-Bajonett heraus. Da Kameras aus Wetzlar stets eine ganz eigene Klientel ansprechen, blieb dies aber ohne grosse Breitenwirkung.

Mehr zur wachsenden Akzeptanz der CSC als ernst zu nehmendes Profi­werkzeug trugen dann aber die Ankündigungen von Mittelformat-CSCs (MF, 43,8 × 32,9 mm) im Sommer 2016 durch Hasselblad (X1D-50C) und wenig später durch Fujifilm (GFX 50S) bei – sowie der anhaltende Erfolg der SonyAlpha-7-Reihe. Wie profitauglich eine CSC sein kann, konnte Sony dann mit der vollformatigen Alpha 9 ab Frühling 2017 demonstrieren. Sie war als Konkurrenz zu den professionellsten DSLR-Reportagekameras eingeführt worden und vermochte sich gegenüber der Canon EOS 1D X Mark II und Nikon D5 in Tests zu behaupten.

2018, das Jahr der CSC

Mit dem Erfolg der Alpha-7- und der Alpha-9-Modelle erwartete und forderte die Fotowelt vergleichbare und profitaugliche (Vollformat-)CSCs von den beiden DSLR-Giganten Canon und Nikon. Beide hatten mit ihren zaghaften, glücklosen CSC-Versuchen (Canon EOS M und Nikon 1) nie überzeugen können und so viele Markenfans auf der Suche nach einer CSC an andere Anbieter verloren. Doch es dauerte bis August und September 2018, bis zuerst Nikon und dann Canon entsprechende Systeme einführten.

Nach zu langer Durststrecke lancierte Nikon das längst überfällige neue System mit Bildsensor im KB-Vollformat und einem besonders grossen Bajonett mit sehr geringem Auflagemass. Wie einst Sony mit den ersten 7er-Modellen startete Nikon mit einem Duo aus der Z6 als universeller Reportage- und der Z7 als hochauflösender Kamera. Wohl wegen den beiden unterschiedlichen Anforderungsprofilen ist Nikon wie zuvor Sony und demnächst Panasonic bei ihrer CSC-Lancierung mit einem Kameraduo gestartet.

Canon zog zwei Wochen später nach und präsentierte ein vergleichbares System. Canon beschränkt sich mit ihrer EOS R vorläufig auf eine Kamera, die Anleihen bei den EOS-M-Modellen und der DSLR EOS 5 Mark IV macht und zudem mit innovativem, jedoch nicht profigerechtem Bedienkonzept daherkommt.

Doch Sony, Leica, Nikon und Canon bleiben nicht die alleinigen Anbieter eines spiegellosen KB-Vollformat-Systems, denn Panasonic hat an der Photokina 2018 angekündigt, ebenfalls ein spiegelloses Vollformatsystem einzuführen. Anfang 2019 startet Panasonic mit dem Kameraduo aus Lumix S1R als hochauflösende und Lumix S1 als vielseitige Reportagekamera sowie mit drei ersten Objektiven. Trotz der S-Reihe mit L-Mount will Panasonic weiterhin an Micro-FourThirds bzw. dem Lumix-G-System festhalten und dafür weitere Kameras und Objektive entwickeln.

Vielversprechend für die Zukunft der CSC ist der Zusammenschluss von Leica, Panasonic und Sigma zur L-Mount-Alliance. Die drei Firmen einigten sich darauf, gemeinsam das L-Bajonett zu nutzen. Dieses war 2014 mit der Leica T (heute TL) – einer Spiegellosen mit APS-C-Sensor – eingeführt worden und wird von Leica nicht nur in den TL-/CL-Modellen, sondern ebenfalls in der 2015 vorgestellten vollformatigen SL verwendet. Alle drei Firmen werden Kameras und Objektive mit diesem Anschluss anbieten, wobei auch andere Marken willkommen seien. Darüber hinaus geht es auch im spiegellosen Mittelformat mit grossen Schritten weiter. Fujfilm hat nicht nur mit der kompakten GFX 50R ein zweites Modell eingeführt, sondern für Anfang 2019 eine noch namenlose GFX mit 100 Megapixel vorangekündigt, die alleine schon mit ihrer Auflösung weitere Profibereiche erobern dürfte.

CSCs für Profis

Das aktuelle Angebot an Spiegellosen, die professionellen Ansprüchen gerecht werden, ist inzwischen beachtlich und mit dem Einstieg von Canon und Nikon nochmals weiter gewachsen. In der Tabelle sind die entsprechenden Modelle anhand ihrer Spezifikationen einander gegenüber gestellt. Aus Gründen der Übersichtlichkeit ist die Auswahl auf Modelle mit kleinformatigen Sensoren (FT, APS-C und KB) beschränkt, zumal das Mittelformat und die Leistungsfähigkeit dieser Kameras auf andere Schwerpunkte ausgerichtet sind, wenngleich es gerade mit den hochauflösenden KB-CSCs Überschneidungen gibt. Auch fehlen die kommenden Lumix-S-Modelle, da kaum Spezifikationen bekannt sind.

Aktuell geht der Trend zur Spiegellosen mit Sensoren im Kleinbild-Vollformat. «Die Profi-CSC» ist derzeit die Sony Alpha 9 (2017) wobei die anderen aktuellen 7er-Modelle von Sony nur wenig nachstehen. Die sehr ausgereifte Sony Alpha 7 III (2018) spielt eigentlich in der Mittelklasse, kann aber mit der ein Jahr älteren 9er in vielen Punkten mithalten. Sie ist zudem die Spiegellose, an der sich derzeit alle anderen CSCs messen müssen. Bis diesen Herbst war die Profiliga der KB-CSCs durch die Modelle von Sony bestimmt und nur Leica mischte mit ihrer teuren SL mit. Nun sind Canon und Nikon präsent, obwohl deren Modelle mangels Ausstattung, Performance und eingeschränkter Objektivpalette nicht vollends professionellen Anforderungen gerecht werden. In der hoch auflösenden Klasse hat die Sony Alpha 7R III aufgrund der Nikon Z7 nun nach fünf Jahre nicht mehr das Monopol.

Trotz Vollformattrend haben Modelle mit kleineren Sensoren nicht nur eine Berechtigung, sondern bieten konkrete Vorteile (kompaktere Objektive und Kameras, mehr Schärfentiefe). Bei kleineren Sensoren ist die Fujifilm X-H1 die einzige professionelle CSC mit APS-C-Sensor, da die Marken Canon, Leica, Sigma und Sony (kleine Alpha-Modelle) hier nur die Einsteiger- und die Mittelklassen bedienen. Die Fujifilm X-T3 soll – wie die Sony Alpha 7 III – zwar gehobene Ansprüche bedienen, ist aber eigentlich nicht im Profisegment positioniert. Auch sie wurde in die Tabelle aufgenommen, weil sie das Profimodell aus ihrem Stall in einigen Punkten überflügelt.

Darüber hinaus gibt es noch die Modelle der CSC-Pioniere mit kleinerem FourThirds-Sensor. Dies sind die sehr kompakte Olympus OM-D E-M1 Mark II und die Panasonic Lumix DC-G9, die beide mit hohen Serientempi aufwarten. Steht die Videofunktionalität im Vordergrund heisst die Wahl vieler Profis Panasonic Lumix DC-GH5.

FaZitt

Mit Einführung weiterer CSC-Systeme von Canon, Nikon und Panasonic sowie gemeinsamen Aktivitäten der L-Mount-Alliance erhält die Entwicklung der CSC weiteren Schub und die Spiegellose dürfte nun endgültig als «die» Systemkamera akzeptiert werden – auch wenn die DSLR noch für ein paar Jahre die Vorherrschaft behalten wird.

Die Zukunft der Systemkamera gehört zweifellos der Spiegellosen, auch wenn manche dies noch immer skeptisch sehen oder gar vom Gegenteil überzeugt sind. Passend zu einer entsprechenden Diskussion war in einem englischsprachigen Forum folgender Kommentar zu lesen: «Spiegellos ist die Zukunft. Wer dagegen in einen Spiegel blickt, blickt stets zurück.» ↑

In einem Add-on zu diesem Artikel finden Sie eine ausführliche History zu den CSCs.

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